Man könnte fast meinen, dass der Himmel sich nach einem blauen Sonnentag erholen müsse. Als habe er sich so verausgabt mit diesem kalten Wind, der von Osten übers Land fegt, dass wir immer noch einen Pullover tragen müssen, auch wenn die Ärmel hochgekrempelt sind. Jetzt am Morgen ist der Himmel grau nach der schwarzen Nacht, die Bäume hinter uns bewegen nur wenig ihre Zweige, desto weiter weg sie stehen, je stiller wirken sie an diesem Tag, an dem der Kaffee heiß in der Tasse auf mich wartet, während ich Savage Rose CD „Homeless“ aufgelegt habe, die ich noch nicht kenne.
Neben uns schlafen Birgit und Ylva in ihrer ersten Nacht in ihrem Minicamper. Wir haben uns gestern an der Weser dort getroffen, wo wir uns vor einigen Tagen verabschiedet haben. Wieder mit einem langen Spaziergang mit unseren Hündinnen, die sich gut verstehen, wenn man die gegenseitige Akzeptanz so positiv annehmen kann. Zum Wasser laufen sie mal zusammen, aber während Hilde buddelt, ist Ylva mit ihren Stöcken gut beschäftigt. Und das Rehbein im hohen Gras finden sie beide gut, streiten sich aber nicht. Erst als Birgit Hilde wegzieht, geht Ylva hin, respektiert aber sofort den verbietenden Ruf. Da wäre Hilde schon deutlich penetranter, sagen wir mal zu meinem Nachteil ungehorsamer.






Heute fährt das Boot wieder übers Wasser und bringt uns ans andere Ufer. Und heute ist wieder ein Schiff auf dem Wasser, ein großer Frachter schiebt sich flussaufwärts, obwohl das Ufer immer noch ausschweifig überflutet ist. Der große Baum steht aber schon wieder zwei Meter von der Uferlinie entfernt höher am Hang, während er vor kurzem noch seine Wurzeln baden konnte.
Ab sieben Uhr morgens ist der Kindergarten Buller & Bü am Hang gegenüber geöffnet, ein Vater ist der erste, der seinem Kind die Jacke überziehen will, während das Kind ihm mit ausgestrecktem Arm etwas zeigen will. Mütter im Outfit der Küche scheinen geradewegs vom Frühstück aufgestanden zu sein. Ihre Kinder laufen geradezu fröhlich den Berg hinauf, glücklich den sorgenden Blicken der Mütter entronnen.






Als Birgit und Ylva aus ihrem Fahrzeug kommen, nehmen sie Hilde für den ersten Spaziergang mit auf die Wiese vor dem Bach, der hinter uns zwischen den Bäumen talwärts in den Ort fließt. Derweil koche ich einen halben Liter heißes Wasser für Birgit’s Kaffee. Hundespaziergänger kommen den gegenüberliegenden Weg am Hang hinunter, ein freundlicher Gruß in den grauen Morgen hinein.
Look back. Vor zwei Tagen brechen wir am späten Morgen in Gieselwerder auf. Noch einmal ein Spaziergang am Fluß entlang durch die Löwenzahnwiesen, an deren Seiten so eine Art taube violette Nessel wächst, die im Sonnenlicht warm aufleuchtet. Zurück über den asphaltierten Weg an den farbig leuchtenden Bäumen vorbei, die vor dem blauen Himmel blinken wie Bonbonpapier.






Seit gestern morgen hat es nicht mehr geregnet, der Boden ist fest. Trotzdem gibt es diesen einen schweren Moment der Anfahrt, als müssen sich die Räder von Lehm befreien. Dann sind wir raus und fahren von Olaf’s Platz durch den Ort Gieselwerder hinaus auf die Landstraße nach Bad Karlshafen. Oberhalb der Weser letzte Blicke ins Tal, wo das Sonnenlicht auf dem Wasser reflektiert, die Häuser und die Kirche im Ort wie Spielzeug wirken.
Wir queren die Stadt und die Weser, nehmen die gewundene Straße hinauf in den Solling, in einer der Serpentinen biegt rechts der Hinweis zum Weserskywalk ab. Linkerhand blinkt der Fluß tief im Tal zu uns hinauf. Wir sind lange alleine, während wir die Weser verlassen und in die bergigen Wälder um Neuhaus hinauffahren, wo es den Campingplatz „Silberborn“ gibt, auf dem wir vor langen Zeiten mal mit Mareike und ihrer Hündin Smilla gestanden haben. Seit Jahren sind die Beiden jetzt in Rumänien beheimatet, wie die Zeitenwende unsere Wege verschlägt in dieser Welt.






Menschen kommen und gehen. Und manchmal bleiben sie lange, aber für immer ist noch nie einer geblieben, obwohl man so etwas sagt. Merkwürdig, die Menschen, wenn sie solche Endgültigkeiten benutzen, die doch alle nur zeitlich begrenzt sind. Und was ist immer, so was wie unendlich, über das faktische Leben hinaus, schon immer waren wir Freunde und bleiben es auch über unseren Tod hinaus. Ich bin schon froh, einen so kleinen Zeitraum wie von gestern bis morgen gedanklich abgreifen zu können.
In Braunschweig besuchen wir Claus über Nacht. Hilde bleibt bei ihm, während ich einen wichtigen Arzttermin habe. Große bemalte Leinwände, der Künstler will fast 2000 Euro für jedes einzelne Werk haben, die Praxisräume dienen ihm zur Dauerwerbung. Das Personal schwebt unter einer unsichtbaren Glasglocke, während die Farben der Bilder eine so heitere Note haben, dass man das Gegenteil glauben könnte. Der Befund meiner Gefäße ist gut, alles im grünen Bereich, wobei auch hier die Farbe nicht stimmig ist mit dem grauschwarzen Gemisch auf dem Bildschirm des Ultraschalls.






Abendessensuppe, es schmeckt uns lecker, die Nacht im Bus vor Claus Haus ist ruhig. Am Morgen fahren Hilde und ich früh zum Sohn und Enkel, bevor wir die trockene Wäsche von der Leine in Claus Haus holen, Hilde nochmal im Garten die Sonne ausspielt, in ihrem warmen Schein auf den Steinen ausruht.
Während ich gestern Mittag auf dem Rastplatz in Salzgitter die Tür öffnen muss, weil es beim Frühstück so heiß im blauen Bus ist, muss ich heute vormittag in Kalletal die Tür vor der eisigen Luft verschließen. Birgit ist längst in ihr Casa auf dem Campingplatz gefahren, weil sie am Computer arbeiten muss, ein Hauch Sonne blinkt ins Fenster, ich habe leckeren Soyajoghurt, mach mir wieder mal ein köstliches Smoothie mit Mandarinenscheiben und Apfelstücken.






Und wenn vieles noch so bruchstückhaft wirkt, ich bin auf einem guten Weg, aus dem, vielleicht sogar gewollten, zumindest zugelassenen, Chaos meines Lebens eine schöne Form zu gestalten. Mit dem frühen Wissen der ersten Reisejahre und dem heutigen Unterwegslebenkönnen möchte ich meine eigene Kultur des Wohlfühlens kreieren lernen. Ein spannender Prozess jenes Selbstverständnisses, das nicht von alleine kommt, aber vielleicht gerne langfristig bleiben möchte.



