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Ebro

Der Stellplatz in Tortosa sei eine gute Adresse, oberhalb der Schlucht gelegen in der der Ebro ins Delta fließt, ist er kostenlos. Für elf Plätze gibt es acht Stromsäulen, wir sind freilich zu spät, finden aber immerhin noch einen freien Platz zwischen zwei großen Fahrzeugen, sodass wir hoffen können, vor den Sturmböen geschützt zu sein, weil der tiefergelegene Platz auch von einer hohen Mauer eingefriedet ist. Abends stehen die Camper um die beiden Stromsäulen herum, deren Leuchten erloschen ist. Die Hauptsicherung ist ausgefallen. War das Bedürfnis, bei 10 Grad Außentemperatur leichtbekleidet zu Abend essen zu können, vielleicht doch ein bisschen frivol. Waren zuviel Heizlüfter im Spiel oder ist den Spaniern schlichtweg der Strom ausgegangen. Da kommt man schon ins Grübeln, ob des günstigen Winterreiselandes für Mitteleuropäer, während in der Heimat vom Stromsparen geredet wird und Zuschüsse gezahlt werden. Nehmen wir, was wir kriegen, oder nach uns die Sintflut. Im Prinzip hat sich nichts geändert. Auch der Sturm hat uns nicht verschont, wir sind das schwächste Opfer, uns kann man rütteln und schütteln, die Zypresse vor uns schwankt bei 80 km/h so stark, dass ich fürchten muss, dies könnte ihre letzte Nacht sein.

Letztendlich haben wir alle überlebt, auch wenn ich früh am Abend schon keine Energie mehr hatte, das Atemgerät zu benutzen, habe ich in Abschnitten geschlafen, wie sonst auch. Lediglich die Träume bekommen dann oft so einen realistischen Touch, dass ich froh bin, als Hilde um halb sieben raus muss. Die Stadt ist still, bergauf fahrende Lichter streifen den dunklen Himmel, an dem die Sterne der Nacht hell leuchten. Sie braucht Wiese, aber der Weg hoch in die Wildnis ist schwarz, so muss sie sich mit dem seitlichen Hügel neben uns zufrieden geben. Und wir spazieren um den Platz herum, auf dem Sand und Stein eine vorrangige Rolle spielen. Der schmale Streifen grün fühlt sich unecht an, so wie Kunstrasen mit hartem Untergrund, sodass Hilde dort überhaupt nichts zum Fressen findet.

Um acht morgens starte ich den Motor, fünf Minuten vielleicht fürs Kaffeewasser und mal eben den Bus mit der Standheizung kurz durchwärmen, die Handys laden. Wie einfach kann das Leben sein, und ich fühle mich wenigstens nicht ganz so schuldig an der Ausbeutung der Ressourcen. Unser biologischer Fußabdruck. Ich denke oft darüber nach, was ich der Erde Gutes zurückgeben kann. Frier doch einfach oder zieh dich wärmer an, statt den Motor laufen zu lassen, denkst du vielleicht, während dein Strom aus der Steckdose kommt, und der Sozialstaat niemanden im Stich lässt.

Mir geht es nicht darum, mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt zu laufen, ich wäre schon froh, wenn jeder vor seiner Türe kehren würde, und dafür sorgt, dass unsere wunderschöne Welt eine Zukunft hat. Wie sinnbildlich ist doch der Stromausfall gestern Abend und wie spürbar berühren uns seine Folgen. Wir, das sind natürlich nur die neun Camper, deren Fahrzeuge an den Säulen hingen. Eh schon einer zuviel gewesen, aber wer denkt da schon dran, dass deswegen ne Sicherung rausspringt. 

Auf dem Platz gestern gab es keinen Strom, aber einen günstigen Bäcker im Ort, mit dem ich grad nichts anfangen konnte, weil ich in Frankreich Baguette für Hilde gekauft habe, und Werner mir am Morgen zuvor zwei leckere Kuchenstücke mitgebracht hat, die meinen aktuellen Bedarf gedeckt haben. So fahren wir runter an den Fluß, der wild und dunkelgrün von den Bergen runterkommt, um später ins Mittelmeer zu fließen. Während ich einige Aufnahmen mache, weht mir der Sturm die Karin sozusagen vor den Bus. Aber bevor ich einen Spruch machen kann zum flatternden Rock und den nackten Beinen, fragt sie mich, was ich hier mache. Sie hätte Sehnsucht nach dem Winter in Deutschland, nachdem sie vier Monate in Spanien gereist ist, aber man habe ihr gesagt, sie solle unbedingt diesen Fluß anschauen. 

In einem interessanten Artikel, den ich verlinke und aus ihm zitiere, finde ich den Hinweis, dass es einen Wanderweg von der Quelle zur Mündung gibt, der sogar mit GR-99 beschriftet ist. 

„Der Ebro ist mit 930 km der wasserreichste und längste Fluss Spaniens. Iberus hieß der Strom bei den Römern und wurde so zum Namensgeber der gesamten Iberischen Halbinsel… 

Heutige Untersuchungen belegen aber, dass die Quelle des Flusses Ebro eher in der Sierra de Híjar, einem südlichen Randgebirge des Kantabrischen Gebirges, zu verorten ist. Damit ist der Río Híjar der eigentliche Quellfluss, der zu Füßen des Gipfels Tres Mares entspringt. Dieser mündet dann bei Reinosa in den Ebro… Der Ebro durchfließt in südöstlicher Richtung große Teile von Nordspanien und mündet im südlichen Katalonien in der Provinz Tarragona ins Mittelmeer.“

https://reisen-nach-spanien.com/nordspanien/ebro

Zum Wanderweg füge ich ebenfalls einen Link bei. https://www.spain.info/de/top/fernwanderwege-spanien/

Nicht dass dies mein Plan sei, wobei ich es schon interessant finde, ab und an am Fluß entlang zu laufen, aber ich könnte der Idee, ihm zur Quelle zu folgen, schon was Gutes abgewinnen. Dann käme sie mit, sagt Karin, die gerade noch vom Heimweh nach Deutschland überwältigt war. So spontan bin ich nun doch nicht, zumal die Idee einer solchen Tour gerade erst in mir reift. Aber die Straße gehört jedem Menschen, also schauen wir, was sich entwickelt. Und ja, Saragossa liegt auf der Höhe von Madrid, das wiederum oberhalb von Cadiz sich befindet, was eigentlich meine Planung in diesem Jahr schon umfasst. Ich bleibe gespannt, ob und wie das Wetter uns auch gestattet, solche Strecken zu fahren. 

Heute wollen wir erst einmal so weit fahren, wie es uns möglich ist, zur Mündung des Ebro zu kommen. Zu spät erfahre ich, dass es vom Ort Ruimar einen Strandweg so weit zur Mündung hin gibt, dass sich das Delta vor einem ausbreitet. Wir fahren bis nahe an den Aussichtsturm, und ich werfe eine Blick durchs Schilf in die Richtung, wohin der Fluß im Sonnenschein gleitet. So sehe ich zwar nicht die Flamingos im Wasser staksen, dafür habe ich die Silhouette des Mannes auf der Bank, die sich vom gleißenden Sonnenlicht ebenso abhebt wie die Bäume und Sträucher am Ufer. 

Ihm begegnen wir später wieder im Hafen von Deltebre, der sich in einer Ausbuchtung des Flusses ausbreitet. Wieder schaut er nachdenklich und gespannt über den Fluß, als würde dieser eine Geschichte seines Lebens in sich tragen. Wir haben ein paar Worte gewechselt, weil Hilde ihn angebellt hat. Jeder so in einer Sprache, die ihm möglich ist, die der andere aber dennoch verstehen kann. Halt alte Männer, denke ich manchmal, da können die Bewegungsabläufe sehr ähnlich sein, auch wenn der Background ganz unterschiedlich sein mag. 

In Deltebre queren wir den Fluß zum dritten Mal über die gleiche Brücke, um auf der anderen Seite nach Amposta zu fahren. Ein kleines Städtchen mit engen Gassen, der Turm eine alte Ölmühle, die Brücke ein Kleinod. Puente colgante de Amposta, knapp hundert Jahre alt. Der einzelstehenden Bau am Rande eines Kreisverkehrs mag ebenfalls aus dem anderen Jahrhundert stammen. 

Statt einem Spaziergang mit Hilde durch die Sonne des Nachmittags, nehmen wir die Straße weg vom Fluß, die uns nach Tortosa führen soll. Landschaftlich mit vielen kleinen Gärten versehen, die sich auf der Weite des Ufers ausbreiten, während es von Autobahn- und Eisenbahnbrücken in unterschiedlichen Höhen weithin überquert wird. Nach Tortosa hinein liegen verschieden hohe Berge im Sonnenlicht, das uns auch hoch zum Stellplatz begleitet, der umgeben ist von den alten Gebäuden einer Schule und dem versteckten Observatorium auf dem Hügel hinter den hohen Bäumen. In Serpentinen führt ein Weg hinauf, der auf einer Seite von Steinmauern und Terrassen mit Olivenbäumen bewachsen ist, die aber wohl nicht mehr kultiviert werden. Dort hinein ist eine riesige Antenne aufgestellt worden, deren Funktion sich mir nicht erschließt. 

So dunkel wie die Nacht trotz der umfassenden Beleuchtung war, so hell und blau ist der neue Tag, der immer noch fleißig durchwindet wird. Nur das Stück „Berliner Mauer“, so vermute ich, steht stumm neben einem kleinen eingezäunten Stück Land, das den Hundebesitzern speziell zur Verfügung gestellt wird. Hilde macht einen großen Bogen drumherum, die Vielzahl fremder Gerüche und die Enge des Platzes verjagt sie da eher. Noch verschmäht sie heute ihr Frühstück, und bevor ich um zehn Uhr morgens nochmal den Motor anwerfe, um heißes Wasser fürs Porridge zu kochen, gehen wir nochmal spazieren.

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